Giga User
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Folgender Bericht stand im GMX-Magazin vom 4.7.2003:

Unzaehlige Menschen haben in ploetzlicher Todesnaehe Gefuehle des Friedens und des Gluecks gehabt. Manche sahen einen Tunnel mit einem verheißungsvollen Licht am Ende - oft empfunden als Blick ins Jenseits. Auch die eigene Vergangenheit stand manchmal zeitgerafft vor Augen. Da war auch der Eindruck, vom eigenen Koerper losgeloest zu sein. Tausende solcher Erlebnisse von Ertrinkenden oder nach einem Herzstillstand wiederbelebten Patienten sind wissenschaftlich untersucht. Und es gibt viele Belege dafuer, dass ihre Berichte keine Fantastereien sind. Nach einer soziologischen Studie haben etwa vier Prozent der Deutschen sie gehabt.

Vor allem die medizinische und neurowissenschaftliche Forschung hat neuerdings zu ihrer Erklaerung beigetragen. Sie ist das Titelthema der neuesten Ausgabe des Magazins "Gehirn & Geist" (Heidelberg, 3/2003). Ihre Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass ausschließlich biologische Prozesse im Gehirn fuer diese so genannten Nahtod- oder Todesnaehe-Erfahrungen verantwortlich sein duerften. Offenbar scheitert unser Gehirn in diesen Momenten daran, urploetzlich das Ende der eigenen Existenz zu verarbeiten, schreibt der Neurophysiologe Detlef B. Linke von der Universitaet Bonn. Und in seiner Not, aber auch als letzte Abwehrstrategie, gewinnen dort besondere Prozesse die Oberhand, die uns diese außergewoehnlichen Erfahrungen bescheren.

Das Gehirn funktioniere wie eine Vorhersagemaschine. Es nehme andauernd die Zukunft vorweg und gestalte die Gegenwart auf der Grundlage von Hypothesen ueber kommende Ereignisse. Dieser Apparat werde nun urploetzlich mit einer Unmoeglichkeit konfrontiert - mit dem Gedanken "Ich sterbe jetzt", schreibt Linke. "Die gesamte Zukunft schrumpft blitzschnell auf einen einzigen Augenblick zusammen und es gibt ploetzlich keine weiterfuehrende Sequenz von Ereignissen mehr. Der Fortlauf der Zeit bricht zusammen und die normalen Mechanismen, die unser Zeitgefuehl erschaffen, koennen an dieser Stelle nicht mehr weiterarbeiten." Bei den besonderen Prozessen, die nun im Gehirn die Oberhand gewinnen, spielen offenbar die so genannten NMDA (N-Methyl-D- Aspartat)-Rezeptoren als neuronale Signaluebermittler eine besondere Rolle. Der Psychiater Karl L. R. Jansen vom Maudsley-Hospital in London zieht diesen Schluss aus Experimenten. Sie zeigen die Wirkung von Sauerstoffmangel und die von Narkosen durch die Substanz Ketamin auf die NMDA-Rezeptoren.

Bei einer Todesnaehe-Erfahrung ist oft Sauerstoffmangel im Spiel. Eine Ketamin-Narkose ist haeufig von Todesnaehe-Erfahrungen begleitet. Das Phaenomen der Ueberflutung des Gedaechtnisses mit Erinnerungen ist moeglicherweise mit der Aktivitaet sensibilisierter NMDA-Rezeptoren erklaerbar. Hinzu kommt, dass diese Rezeptoren mit dem Opioid-System in Verbindung stehen, mit dessen Hilfe der Koerper Schmerzen unterdrueckt. Hier duerften sie auch eine Funktion beim Entstehen von Gluecksgefuehlen in Nahtod-Situationen haben. Bei der Aufloesung der Unterschiede zwischen dem Selbst und der Umwelt spielt moeglicherweise auch die Amygdala als ein fuer Angst und Aggression zustaendiges Gehirnzentrum eine Rolle: Wenn der Mensch nicht mehr handeln kann, kommt diese Region mit ihren Handlungsimpulsen nicht mehr zum Zuge - und die eigenen Grenzen scheinen sich aufzuloesen. Deuten die Todesnaehe-Erfahrungen auf die Existenz eines Lebens nach dem Tod hin - zumal sie, wenn auch relativ selten, schrecklich sein koennen, wie ein Blick in die Hoelle? Dem Psychiater Michael Schroeter-Kunhardt (Heidelberg) zeigen die neuen Erkenntnisse, dass der Glaube an ein Leben nach dem Tod letztlich biologisch vorprogrammiert ist. "Der Mensch ist durch die Beschaffenheit seines Gehirns darauf ausgerichtet, mystische Erfahrungen zu machen. Er ist von vornherein ein religioeses Wesen."

Er vergleicht das Ganze mit einem Flugsimulator, der den Piloten auf das wahre Fliegen vorbereitet. "Der Sinn dieses biologisch initiierten Programms ist es, den Leuten zu zeigen, dass der Tod nicht das Ende ist. Die Erfahrung ist so perfekt, dass man sich wohl kaum eine bessere Methode vorstellen koennte, jemanden auf ein Leben nach dem Tode vorzubereiten." Der einzige Universitaetstheologe, der sich mit dem Phaenomen auseinander gesetzt hat, ist Hans Kueng (Tuebingen). Jedenfalls beweise es fuer ein moegliches Leben nach dem Tode "nichts", schreibt er in seinem Buch "Ewiges Leben?" unter dem Hinweis, dass diese Menschen die Schwelle des Todes ja noch nicht ueberschritten hatten.

Rudolf Grimm